Der Energiemarkt: Mitten im perfekten Sturm
Im Jahr 2016 schrieb der Australier Jacob Dalton über den Energiemarkt und seine Herausforderungen. Der Aufsatz entstand im Rahmen seines Masterstudiums in nachhaltiger Energie an der renommierten Stockholmer KTH Universität. Was er damals nicht wusste: Die beiden Gründer eines jungen Unternehmens namens Tibber teilten genau die selben Ansichten - dass sich die gesamte Branche mitten in einem unvermeidlichen Wandel befindet, der es den traditionellen Stromunternehmen schwer machen wird, zu überleben.
Heute arbeitet Jacob als Ingenieur bei Tibber, wo er gemeinsam mit dem Unternehmen nach einer nachhaltigeren Zukunft durch intelligente Technologie und Innovation strebt. Hier liest du die aktualisierte Version seines Aufsatzes mit abschließenden Kommentaren von Jacob selbst. Weltweit sehen sich etablierte Energieunternehmen mit dem von ihm beschriebenen perfekten Sturm konfrontiert. Das Energie-Ökosystem verändert sich rasant. Der überholte Status quo zwingt Unternehmen ihre Arbeitsweise zu ändern, oder sie drohen unterzugehen.
Der perfekte Sturm besteht aus vier destabilisierenden Faktoren
1. Dekarbonisierung
Der erste Faktor ist die Dekarbonisierung. Sie beschreibt die dringend notwendige Abkehr von der CO2-intensiven Energieproduktion, ohne die die menschengemachte Klimakatastrophe nicht mehr zu verhindern ist. Wir alle haben vom Pariser Abkommen gehört, welches Regierungen dazu verpflichtet, strengere Vorschriften zu erlassen und die Wirtschaft zu zwingen, vom Zug der fossilen Brennstoffe abzuspringen. Auch CO2-Märkte gewinnen zunehmend an Bedeutung. Der europäische CO2-Preis erreichte im Juli (2020) mit 30 €/Tonne ein 14-Jahres-Hoch, verglichen mit 5 € im Jahr 2016. In der Folge müssen Energieunternehmen den Anteil an erneuerbaren Energien erhöhen. Das erhöht die Kosten für ihre traditionellen CO2-intensiven Stromerzeuger. Ganz zu schweigen von den erheblichen Auswirkungen der massiven Investitionen in die Energieeffizienz, die eine Verringerung des Wachstums der Energienachfrage bedeuten.
Im Wesentlichen wird die Dekarbonisierung Energieunternehmen dazu zwingen, ein teureres Produkt zu verkaufen - und weniger davon!
2. Dezentralisierung
Dies führt uns zur Dezentralisierung: Die Mehrheit der erneuerbaren Energien werden - im Gegensatz zu alten, großen, zentralisierten Anlagen - als Teil der dezentralen Stromerzeugung betrachtet. Ein Prozess, der bereits begonnen hat. Wir sehen, wie sich der Ort der Kontrolle über die Energieproduktion von riesigen, auf fossilen Brennstoffen basierenden, zentralisierten Energieunternehmen auf Millionen kleinerer Produzenten und Prosumer (produzierende Verbraucher) verlagert. Stelle dir Tausende von verteilten Mini-Kraftwerken in Form von Solar-Photovoltaik (PV) auf den Dächern der Haushalte im Vergleich zu einem riesigen Kohlekraftwerk vor.
Der Punkt, an dem Solar-PV großflächig Netzparität erreicht, sprich ihre Kosten auch ohne Subventionen niedriger sind als die der billigsten fossilen Stromerzeuger, wird für dieses Jahr (2020, Anm. d. Red.) vorhergesagt, wenn er nicht schon in vielen Regionen weltweit überschritten ist. Das stellt Energieunternehmen mit zentralen Anlagen und Verteilungsinfrastruktur mit einer wirtschaftlichen Lebensdauer von 30 Jahren vor große Herausforderungen. Da Prosumer den Eigenverbrauch erhöhen und Power Purchase Agreements (PPA: Ein spezieller nachfragegetriebener Stromliefervertrag, i.d.R. zwischen einem Stromerzeuger und einem Großabnehmer., Anm. d. Red.) zur Norm werden, wird die Nachfrage nach traditionell erzeugtem Strom sinken. Das reduziert die standardmäßigen Umsatzströme von €/kWh sowie die Fähigkeit der Energieunternehmen, ihre Investitionen zurückzuzahlen. Ein Beispiel: Swedbank kündigte kürzlich einen PPA mit einem schwedischen Solarenergieunternehmen an (ja, auch im nicht so sonnigen Schweden wird Netzparität erreicht), der 30% des Energiebedarfs für die kommenden 20 Jahre abdecken wird. Ein weiteres Beispiel ist der der Plan, einen 155-Megawatt-Solarpark in Dänemark ohne jegliche Subventionen zu bauen, der von risikoscheuen Versicherungsgesellschaften und Pensionsfonds (u. a. AP-fonden und Folksam) unterstützt wird. All das ist Energie, die nicht von traditionellen Energieunternehmen geliefert wird.
Unter dem Druck der reduzierten Einnahmen sind die Energieunternehmen gezwungen, die Kosten an die wenigen verbleibenden Kunden weiterzugeben. Das führt zu höheren Stromrechnungen und schafft für diese Kunden Anreize, sich nach alternativen Stromlieferanten umzusehen. Dadurch sinken die Einnahmen weiter und der Kreislauf setzt sich fort... bis hin zu dem, was als die berühmte Todesspirale der Versorgungsunternehmen bekannt ist.
Jacob im Tibber Büro in Stockholm
3. Digitalisierung
Das Vorrücken von intelligenten Netzen, intelligenten Zählern und digitalen Kundenplattformen wird es Energieunternehmen ermöglichen, erneuerbare und dezentrale Energieressourcen optimal zu verwalten, Nachfragereaktion und Flexibilitätsmanagement zu vereinfachen und letztendlich, Daten zu sammeln, zusammenzustellen und ihren Kunden auf eine Weise zu präsentieren, die einen Mehrwert schafft. Durch die einfache und greifbare Präsentation von Daten, können Energieunternehmen ihre Kunden einbinden und sie dazu befähigen, ihren Verbrauch zu senken und sich am Energiemarkt zu beteiligen.
Gegenwärtig interagieren Endverbraucher durchschnittlich 9 Minuten pro Jahr mit Energieunternehmen und diese wenigen Minuten bestehen fast ausschließlich in der negativen Erfahrung des Lesens einer Stromrechnung. Die Digitalisierung wird Energieunternehmen vor allem die Möglichkeit eröffnen, einen kontinuierlichen und positiven Kundendialog zu führen. Dies würde beispielsweise durch den gegenseitigen Informationsaustausch geschehen, der auf einer Customer-Engagement-Plattform oder einer Smartphone-App möglich ist.
4. Demokratisierung
Ob es den Energieunternehmen nun gefällt oder nicht, diese drei vorherigen Faktoren werden zwangsläufig zum vierten und letzten führen: der Demokratisierung des Energiesektors. Wie bereits erwähnt, mit der Verlagerung des Kontrollfokus weg von den zentralen Erzeugern und mit der Verfügbarkeit von endlosen nützlichen Informationen, werden die Endverbraucher zu eigenverantwortlichen Hauptakteuren auf dem Energiemarkt. Prosumer können beispielsweise ihre dezentrale Produktion anbieten, um Dienste am Stromnetz zu erbringen, z. B. zum Netzausgleich durch intelligentes Laden ihres Elektroautos oder Spannungssteuerung durch intelligente Wechselrichter ihrer Solarmodule. Letztendlich bedeutet dies, dass mehr Wert aus jeder Energiequelle geschöpft wird, was die Effizienz des Netzmanagements erhöht und dadurch die Kosten der Gesellschaft für die Aufrechterhaltung eines robusten und stabilen Stromnetzes reduziert.
In finanzieller Hinsicht bedeutet dies auch, dass die Gewinne nicht mehr in den Händen der Gesellschafter der größten Energiekonzerne angesammelt werden, sondern der Wert in einer weitaus verstreuteren Energiesphäre demokratisiert wird. Es bleibt die Frage, ob sich die Energiekonzerne dem Wandel widersetzen und um den Erhalt des Status quo kämpfen werden - wie es viele aussterbende Giganten tun. Oder werden sie vielmehr die Weitsicht haben, die Demokratisierung des Marktes als eine entscheidende wertschöpfende Chance zu sehen.
Wie schwimmt man? 🏊🏼
Wie kann also ein Energieunternehmen angesichts dieser destabilisierenden Faktoren sein Geschäftsmodell ändern, um in der Zukunft zu überleben? Eine zentrale Lösung ist der Übergang von einem warenbasierten zu einem dienstleistungsbasierten Modell und die Schaffung von Werten durch die Verlagerung des Fokus auf den Kunden. Durch die Pflege einer auf Vertrauen und Transparenz basierenden Beziehung statt traditionell konträren Interaktionen zwischen Verkäufern und Käufern, können Energieunternehmen Win-Win-Interaktionen schaffen. Auf diese Weise werden sie als vertrauenswürdige Energieberater gesehen, die den Kunden durch die Bereitstellung einer breiten Palette von Technologien und Dienstleistungen die Teilnahme am Energiemarkt ermöglichen.
Zusammenfassend lässt sich sagen, dass der Weg in die Zukunft für Energieunternehmen durch einen turbulenten und disruptiven Sturm führt. Die vier Ds - Dekarbonisierung, Dezentralisierung, Digitalisierung und Demokratisierung - bedrohen auf unheilvolle Weise ihren Status quo und ihre traditionellen Einnahmequellen. Der Wandel ist jedoch notwendig und unvermeidlich. Es werden diejenigen sein, die über den Einfallsreichtum und die Agilität verfügen, ihre Kundenbeziehungen neu auszurichten, die am besten gerüstet sein werden, um zu schwimmen. Obwohl nur sehr wenige Dinosaurier schwimmen konnten. 😉
Abschließende Worte
Ob du es glaubst oder nicht, der obige Artikel wurde ursprünglich für ein Universitätsprojekt im Jahr 2016 geschrieben (Kennzahlen und die Marktbeispiele wurden seitdem aktualisiert). Ohne mein Wissen wurde dieser perfekte Sturm von Edgeir und Daniel als ideale Voraussetzung für die Gründung eines disruptiven Startups, Tibber, angesehen. Mit einem völlig neuen Konzept und einer ehrgeizigen Mission konnten sie ein Unternehmen aufbauen, das speziell darauf ausgelegt ist, die heftigen Winde dieses Sturms zu nutzen, anstatt in seinen turbulenten Gewässern unterzugehen.
Tibber begrüßt diese disruptiven Faktoren nicht nur, sondern macht sie sich vollständig zunutze:
Dekarbonisierung: Tibber verkauft nur 100% grüne, erneuerbare Energie.
Dezentralisierung: Tibber erwirtschaftet keine Umsatzerlöse auf €/kWh-Basis und berechnet stattdessen eine feste Servicegebühr für das Angebot von Dienstleistungen, die den Energieverbrauch und die Kosten reduzieren. Tibber begrüßt die Integration dezentraler Energiequellen.
Digitalisierung: Tibber ist ein vollständig digitales Energieunternehmen. Die Digitalisierung ermöglicht eine transparente Weitergabe des Einkaufspreises an den Endverbraucher, während über die Tibber-App die Verbrauchsdaten für den Kunden verständlich, ansprechend und aufschlussreich dargestellt werden und ein kontinuierlicher Zwei-Wege-Dialog geführt wird.
Demokratisierung: Tibber ermöglicht seinen Kunden den Einstieg in den Energiemarkt und hilft ihnen, Werte zu erfassen und zu teilen. Da Tibber keine Gewinne durch den eigentlichen Verkauf von Strom erzielt, ist das Unternehmen auf das Ziel der Endkunden ausgerichtet, den Energieverbrauch zu senken. Indem Tibber die dezentralen Energiequellen in den Haushalten koordiniert und Dienstleistungen für das Stromnetz anbietet, wie z. B. den Netzausgleich durch optimal koordiniertes Laden von Elektrofahrzeugen, ermöglicht es Tibber den Haushalten, eine aktive Rolle bei der Energiewende zu spielen.
Was kann disruptiver sein als ein Unternehmen, welches die disruptiven Einflüsse selbst verkörpert?
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