Zeitvariable Netzentgelte: Darum lohnt sich flexibler Verbrauch bald noch mehr
Das Informations-Kauderwelsch rund ums Thema zeitvariable Netzentgelte muss dringend aufgeräumt werden. Einige fragen sich, ob dadurch Mehrkosten auf Verbraucher:innen zukommen. Andere wundern sich, ob der Netzbetreiber die eigenen Geräte einfach drosseln oder gar ganz abschalten darf. Wir bringen Ordnung ins Chaos und liefern erste Antworten.
Netzengelte? Was ist das überhaupt?
Die sogenannten Netznutzungsentgelte, kurz Netzentgelte, sind eine Gebühr auf deiner Stromrechnung, durch die Netzbetreiber bestimmte Leistungen finanzieren. Dazu gehören beispielsweise die Instandhaltung von Strommasten und -leitungen, das Betreiben von Umspannwerken und das Überwachen der Netzflüsse. Die Höhe der Entgelte werden von der Bundesnetzagentur überwacht und gedeckelt.
Fakt ist: Die Struktur und Logik der Netzentgelte in Deutschland wurde vor der Energiewende entwickelt, kann also nicht mehr wirklich auf die heutigen Bedingungen übertragen werden. Damals ging man nämlich davon aus, dass das Lastverhalten der Verbraucher:innen mehr oder minder standardisiert verläuft, es also eher unflexibel und damit auch nicht durch Preise beeinflussbar ist. Gleichzeitig war die Energieerzeugung vor der Energiewende zentralisiert und dadurch leichter steuerbar; nur wenige fossile Kraftwerke haben den gesamten Strombedarf des Landes erzeugt. Bei der Aufstellung der Netzentgelte konzentrierte man sich folglich darauf, die Kosten für das Stromnetz fair zu verteilen und sicherzustellen, dass getätigte Investitionen angemessen berücksichtigt werden. Im Tagesspiegel wurde dies anschaulich mit der Briefmarke als Porto für den Versand verglichen – die Netzentgelte sind quasi eine Gegenleistung für die Transportkosten deines Stroms.
Was ändert sich im Zuge der Energiewende?
Hier müssen wir genau aufpassen: Die regulären Netz(nutzungs)entgelte bleiben auch weiterhin bestehen. Wir informieren dich einmal jährlich, ob und inwiefern die Kosten angepasst werden. Es kommt nun jedoch eine weitere Komponente ins Spiel: Im November dieses Jahres legte die Bundesnetzagentur eine Festlegung zu zeitvariablen Netzentgelten vor. Mit dem neuen Vorschlag soll netzdienliches Verhalten belohnt werden. Wer seinen Verbrauch in bestimmte Zeitfenster verlegt, in denen das Netz weniger stark belastet wird, soll demnach nur noch ein reduziertes Entgelt zahlen.
Ihr habt es von Tibber bestimmt schon mehrfach gehört: Mit der Umstellung unserer Energieversorgung auf erneuerbare Energien wird auch die Frage wichtiger, wann wir Strom aus dem Netz beziehen. Durch die weniger vorhersehbare Produktion von Ökostrom, wäre es effizienter Verbrauch, die Energie vermehrt dann zu nutzen, wenn ausreichend Sonne scheint oder starker Wind weht. Dafür erhältst du auch einen niedrigeren Preis pro Kilowattstunde (sofern du einen stündlich dynamischen Tarif bei Tibber hast).
Zum marktorientierten Anreiz, dank dynamischem Tarif direkt vom stündlich schwankenden Börsenstrompreisen zu profitieren und Energie zu nutzen, wenn sie günstig und ausreichend vorhanden ist, kommt mit den zeitvariablen Netzentgelten nun also ein weiteres Instrument hinzu. Ein Instrument, mit dem die Flexibilität der Verbraucher:innen vom Netzbetreiber belohnt wird. Um also bestimmte Zeitfenster auszuweisen, in denen erfahrungsgemäß eher Engpässe (zum Beispiel die klassischen Lastspitzen am Morgen und am Abend) entstehen, wird ein höheres Netzentgelt eingepreist. Dadurch soll im gesamten Netz die Energieeffizienz erhöht werden.
Flexibilität nutzen, Energiewende fördern
Viele der neuen Verbrauchseinrichtungen zahlen auf die oben beschriebene, dringend benötigte Flexibilität ein: Von Wärmepumpen, die sich durch preisvariable Tarife leicht runterregulieren, wenn der Strompreis hoch ist, bis hin zu E-Autos, die sich über nacht laden lassen. Eine Verschiebung der Energienutzung um einige Stunden ist hier technisch leicht realisierbar, und zwar ohne Komfortverzicht. In einer Studie von Neon Neue Energieökonomie nennen die Autoren eingängigen Kennzahlen, die zeigen, wie groß das wirtschaftliche und gesellschaftliche Potenzial von dezentralen Flexibilitäten (also den oben genannten Verbrauchseinrichtungen) ist:
Heute beträgt die zusammengerechnete Anschluss- bzw. Ladeleistung von Wärmepumpen, Elektroautos und Heimspeichern in der Niederspannung etwa 20 GW* und entspricht damit rund 25% der installierten Leistung flexibler Kraftwerke.
Nach Erwartung der Bundesregierung kehrt sich dieses Verhältnis bereits 2030 um: mit 250 GW* Leistung dezentraler Flexibilität steigt die dezentrale Flexibilität auf etwa 350% der flexiblen Kraftwerksleistung an.
Agora Energiewende rechnet sogar mit 100 Terrawattsunden (was 1000x100 = 100.000 Gigawatt entspräche). Damit ließen sich 4,8 Milliarden Euro an Brennstoff- und Investitionskosten für Wasserstoff-Kraftwerke und große Batteriespeicher einsparen.
*1 Gigawatt (GW) = 1.000.000 Watt = Leistung eines mittelgroßen Atomkraftwerks
Sicher könnt ihr euch vorstellen, welche krassen Auswirkungen es auf das Stromnetz insgesamt hätte, wenn die Kraft von fast 500 Atomkraftwerke in Form dezentraler Flexibilität zur Verfügung stünde. Es ist daher umso wichtiger, ein wasserfestes Anreizmodell für das Verschieben der Lastgänge zu entwickeln. Im Folgenden erklären wir, wie das aussehen soll. Um das ganze ein bisschen übersichtlicher zu gestalten, haben wir uns zur Veranschaulichung von der Bundesnetzagentur inspirieren lassen.
Das dreistufige Modell für zeitvariable Netzentgelte
Statisch variables Netzentgelt für ein Gesamtnetz
In diesem Modul sind Hoch- und Niederlastzeiten festgelegt, die jeweils für ein Gesamtnetz in der Niederspannung gelten. Die Preise für die vorgegeben Hoch- und Niederlastzeiten sind dabei fix und gelten über ein gesamtes Kalenderjahr. Hierdurch soll ein wirtschaftlicher Anreiz auf Verbraucherseite ausgelöst werden, in bestimmten Zeiten den steuerbaren Verbrauch zu drosseln und ihn im günstigen Zeitfenster hochzufahren.
Statisch variables Netzentgelt für regional belastete Ortsstränge
In diesem Modul gelten bestimmte Hoch- und Niederlastzeiten nur für einzelne Netzstränge, die vom Netzbetreiber ausgewiesen werden müssen. Klarer wird dies in der Betrachtung von Innenstädten und Wohnsiedlungen. Während die Innenstädte möglicherweise tagsüber stärker belastet sind, steigt der Verbrauch in Wohnsiedlungen eher in den Randzeiten des Tages, was sich perspektivisch in den Preisen widerspiegelt. Auch in diesem Modul bleiben die Preise für ein Kalenderjahr konstant.
Variable Netzentgelte für ein Gesamtnetz
In dem dritten Modul werden die Hoch- und Niederlastzeiten jeweils zu einem festgelegten Preis ausgewiesen, die in diesem Fall auch für das gesamte Netz gelten. Flexibel sind aber die Zeiträume, in denen diese Preise gelten können. Das heißt, es gibt variierende Zeitfenster, in denen die unterschiedlichen Preisstufen zur Anwendung kommen. Modul drei sieht vor, dass Verbraucher:innen mit einer bestimmten Vorlaufzeit t-x darüber informiert werden, ob es einen Engpass im Netz gibt und wann dieser eintritt.
Eine wichtige Frage bleibt noch: Wann darf mein Netzbetreiber meinen Verbrauch drosseln?
Mit der Einführung der zeitvariablen Netzentgelte soll vor allem dem Engpass-Management auf Seiten der Netzbetreiber geholfen werden. Das heißt, wenn sich möglichst viele Nutzer:innen an die ausgewiesenen Zeiten halten, können drohende Engpässe leichter vermieden werden. Sollte es dennoch passieren, dass durch hohe Stromentnahme eine Gefährdung für die Versorgungssicherheit besteht, hat der Netzbetreiber die Hoheit, einzuschreiten. Dann ist er berechtigt, die Stromzufuhr auf 4,2 KW zu drosseln, wodurch die Versorgung deines Zuhauses jedoch ausdrücklich und immer gewährleistet bleibt. Du musst dir also keine Sorgen machen. Selbiges gilt auch für dein E-Auto, das weiterhin geladen wird, für einen befristeten Zeitraum jedoch langsamer. Sollte es zu dieser Situation kommen, muss der Netzbetreiber den Zwischenfall öffentlich ausweisen und darüber hinaus beschreiben, wie er einer Drosselung in Zukunft entgegenwirkt – zum Beispiel durch den regionalen Netzausbau. Dafür darf der Netzbetreiber aber keine Anschlüsse mehr verweigern.
Klingt gut, doch wann ist es so weit?
Die Frage ist tatsächlich nicht so leicht zu beantworten, weil die praktische Umsetzung erst ausgearbeitet werden muss. Eigentlich soll die Regelung für Modul 1 und 2 bereits ab dem 01. Januar 2024 starten. Technische Voraussetzung ist ein Smart Meter (=intelligentes Messsystem) sowie eine sogenannte Steuerbox. Dafür müsstest du dich bitte bei deinem Netzbetreiber sowie Messstellenbetreiber melden, da wir dies leider nicht für dich einbauen können. Bei Fragen kannst du dich aber jederzeit natürlich gerne bei uns melden. Schick einfach eine Mail an hello@tibber.com.